Von 40 auf 300 PS in 93 Jahren

Facelift für die alte Lady

29.08.2022 | Tobias Hoppe lebt schon immer in Salzwedel. Kindheit und Jugend verbrachte der 41jährige im Elternhaus, vor einigen Jahren hat er gebaut und lebt jetzt mit Frau und Kind am Rand der alten Hansestadt. „Weil es, dass hier noch nie gab“ hatte sich der gelernte Zimmermann ein Blockhaus gebaut – aus gefällten Bäumen, eigenhändig Stamm für Stamm mit (Motor-) Säge und Axt in Form gebracht.

„So ein Fahrzeug gab es hier noch nie“ wäre also für den Betriebsratsvorsitzenden der Bertrandt Technologie GmbH Grund genug gewesen, neuer Besitzer des Autos zu werden. Das Auto ist ein Ford, Modell A, Baujahr 1929. Knapp 4,5 Millionen Fahrzeuge dieser Modellreihe wurden zwischen 1928 und 1931 in den USA gebaut und – hauptsächlich auf dem amerikanischen Markt – verkauft. Angetrieben von einem Reihen-Vierzylindermotor mit 3,3 Litern Hubraum und ca. 40 PS erreichte der Wagen eine Höchstgeschwindigkeit von über 100 km/h. Mechanische Trommelbremsen übernahmen die negative Beschleunigung.

In den 50er Jahren waren diese Fahrzeuge noch immer vorhanden aber veraltet und deshalb billig verfügbar. Jugendliche in Amerika machten sich einen Spaß daraus, diese Schrottstücke mit stärkeren Motoren zu versehen, die Fahrwerke zu modifizieren und damit Beschleunigungsrennen über die amerikanische Viertelmeile zu fahren – die Geburtsstunde der Hotrods.

Fahrzeuge der 20er und 30er Jahre waren als Automobile noch echte Nachfahren der bis dahin vorherrschenden Kutschen. Sie hatten in der Regel einen starren, aus massiven Stahlprofilen bestehenden, genieteten Leiterrahmen, vorne wie hinten Deichselachsen die mittels Blattfedern notdürftig gefedert wurden. Der Motor wurde vorne auf Quertraversen montiert, Getriebe und Antriebsstrang in Richtung starrer, angetriebener Hinterachse verlegt. Und abschließend wurde auf den Leiterrahmen die Karosserie montiert.

Ein stärkerer/längerer/breiterer Motor, eine andere Übersetzung, ein anderes Getriebe, größere oder kleinere Räder, andere Achsen oder auch eine andere Karosserieform: aufgrund des einfachen Bauprinzips ist nahezu alles möglich und nur die Fantasie und das handwerkliche Können der Schraubenden setzen hier Grenzen. Da in den USA nahezu jedes Fahrzeug gefahren werden darf, was fahren kann, floriert die Hotrod-Szene dort – bis heute.

Zwischenzeitlich hat Tobias umgeschult und fuhr vier Jahre lang als ausgebildeter Berufskraftfahrer mit seinem LKW durch Europa. Seit 2012 ist er bei Bertrandt. Ein Kollege nimmt ihn schließlich mit zu einem Hotrod-Treffen bei Berlin. „Die Atmosphäre, die Gespräche, natürlich die Autos, der Sound – das war der Moment, in dem ich wusste: Ich will auch einen Hotrod haben“, fasst Tobias seinen Entschluss zusammen. Im Anschluss an das Treffen wird in Foren weiter diskutiert und gechattet, irgendwann taucht ein Angebot auf und nach langen Verhandlungen wird schließlich in Arizona (USA) ein Fahrzeug verladen und auf den Weg nach Sachsen-Anhalt  gebracht.

Als der ehemalige Ford A 2018 nach langer Reise eintrifft, zeigt sich der Enthusiasmus der bastelnden Vorbesitzer im Detail. Der Leiterrahmen wurde in der Mitte herausgetrennt und tiefer wieder eingesetzt. Die Achsen wurden nach oben versetzt um den Schwerpunkt weiter nach unten zu legen. Die Karosse wurde auf Höhe der Fenster horizontal durchgeschnitten, ein 6" breiter Streifen herausgetrennt und anschließend wurde die Karosse wieder zusammengesetzt. So um ca. 15 cm erniedrigt wurde die Karosse nicht auf den Rahmen gesetzt sondern darüber gezogen und dann befestigt. Derart um ca. 50cm in der Höhe geschrumpft kam anstelle des ursprünglichen Motors ein V8-Motor mit 5,7 Litern Hubraum, modifizierten Zylinderköpfen und einem Edelbrock-Vergaser was zusammen etwa 300 PS ergibt. Anstelle der mechanisch betätigten Trommelbremsen verzögern vorne jetzt große hydraulische Scheibenbremsen und auch die hinteren Trommeln werden mittlerweile hydraulisch angesteuert. Überflüssiges Blech wie die Kotflügel oder auch die Motorhaube sind entfernt, dafür ist das originale Vinyl-Dach durch eines aus Blech ersetzt worden.

Nüchtern aber liebevoll bilanzierte Tobias nach der ersten Besichtigung: „Das ist kein Oldtimer, das ist eigentlich ein Haufen Schrott.“ Aber der Schrott hat es in sich. Da erste Umbauten schon in den 50er Jahren vorgenommen wurden und damit ein zeitgenössischer Zustand gegeben ist, rückt eine Zulassung des Wagens in greifbare Nähe. Die erste Fahrt zum TÜV allerdings ernüchtert. Am Rahmen müssen Änderungen vorgenommen werden, Radabdeckungen müssen her, Blinker und Beleuchtung verlangen Optimierungen und auch eine Motorhaube brauchen Autos in Deutschland.

2018 arbeitet Tobias schon länger bei Bertrandt, einem Entwicklungsdienstleister für u.a. die Automobilindustrie. In dem Jahr finden dort zum ersten Mal Betriebsratswahlen statt und Tobias wird zuerst Wahlleiter und dann in Folge auch Betriebsrat und -vorsitzender. 
Im Frühjahr wurde er in diesem Amt bestätigt.

Vier Jahre lang hat Tobias zusammen mit seinem besten Freund jetzt geplant, geflucht, geschraubt und gewerkelt, entwickelt und gebaut als wir ihn besuchen. In der Garage steht mitnichten „ein Haufen Schrott“, sondern ein Auto. Ungewohnt im Aussehen, anders im Klang, uralt aber irgendwie auch neu und letztlich mit allen Attributen, die ein Auto ausmachen. Die Motorhaube steht allerdings neben dem Wagen. „Die muss ich nur noch ein wenig kürzen und in der Breite anpassen.“ Einige Bauteile müssen besser befestigt werden, andere kleine Baustellen gibt es noch, aber: Jetzt im Herbst steht die nächste Fahrt zum TÜV an. Wenn der seinen Segen gibt: Zulassung mit Saisonkennzeichen. Und dann: eines Tages zugelassen und TÜV-geprüft auf eigener Achse mit der „alten Lady“ nach Schweden zum „Big Power Meet“ fahren. Dort, gut 900 Autokilometer von Salzwedel entfernt, treffen sich jedes Jahr zwischen 20000 und 35000 Freunde amerikanischer Fahrzeuge aus ganz Europa. Das ist sein Ziel.

Ein anderes wichtiges Ziel für den überzeugten und überzeugenden Metaller ist ein Tarifvertrag für Bertrandt. Doch das ist eine andere Geschichte.